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Die weltweit höchstgelegene Highline auf 5877m NN

Neuer Slackline Höhenrekord in den Zentral Anden. Quirin Herterich gelingt die Begehung der Weltweit höchst gelegenen Highline auf 5877 m

Rot leuchtendes Bergpanorama in den Anden

Fact Sheet 

Länge der Line: 24 m 

Höhe der Line: 65 m 

Meereshöhe der Line masl: 5877m 

Datum der Erstbegehung: 07.02.2022 

Location: The Andes 😉 

Quirin Herterich auf der höchsten Slackline der Welt auf dem Aconcagua

 Die Vorbereitungen bis zum Base Camp

Allein der Flug nach Mendoza ist eine Odyssee – drei Flüge, zwei Zwischenstopps und mehr als 14 h Aufenthalt an den Flughäfen zusätzlich zur Flugzeit – ich brauche quasi ein Wochenende, um überhaupt in der Stadt anzukommen. Beim Start des letzten Flugs von Saõ Paulo sehe ich wie mein 120L Packsack auf dem Transportband ins Flugzeug verladen wird- und mir fällt ein Stein vom Herzen. Ich habe extrem viel Spezialequipment dabei, das sich in Südamerika nicht kaufen lässt. Mein Freund Federico (Fede) holt mich zum Sonnenuntergang mit seinem Land Rover Defender vom Flughafen ab- ich habe ein gutes Gefühl. Wir haben uns 2017 in China bei einem Weltrekordversuch kennengelernt und seitdem nichtmehr gesehen- es gibt viel zu besprechen.

Fede muss jeweils nachmittags arbeiten- ich statte mich die ersten zwei Tage mit einigen Kleinigkeiten wie z.B. Simkarte, Benzin für den Kocher und einem Mountainbike aus- dann halte ich es nicht mehr aus in der Stadt und mit Bus und Bike geht’s in die nächstgelegenen Berge. Ich schlafe sehr wenig und schaffe es bis auf eine Höhe von 4400m zu gehen bevor mir die Zeit ausgeht und ich absteigen muss, um auf 3000m zu übernachten. Die ersten drei Tage am Berg sind um- ich fühle mich gut und kehre zurück nach Mendoza. Wir treffen letzte Vorbereitungen, packen alles und machen uns auf den Weg zum Aconcagua Nationalpark. Die dreistündige Fahrt führt uns durch die Wüste und an gigantischen Felswänden vorbei- für mich ist das eine komplett andere Welt.

Wir schicken 60kg Gepäck mit einem Muli ins Base Camp und gehen wie geplant mit relativ leichten Rucksäcken gegen 17:00 los. Unser Plan ist die komplette Nacht zu nutzen, um die ca. 28km lange Strecke und 1700 Höhenmeter ins Base Camp zurückzulegen. Das hat zweierlei Gründe: zum ersten hat es selbst auf der Starthöhe von 2800m tagsüber noch 30°C und zum anderen werden wir einen Zwischenstopp auf dem Weg umgehen: jeder Besucher des Nationalparks muss unterwegs eine Nacht im Camp Confluencia verbringen- „ist eben eine Regel“ meint Fede. Jedenfalls wollen wir diesen Tag nicht verlieren und direkt ins Base Camp „Plaza de Mulas“ aufsteigen- wir haben nur eine limitierte Zeit zur Verfügung, die wollen wir nutzen.

Getting started

Im Base Camp angekommen ist der erste Tag natürlich erstmal ein Pausentag. Doch ich will nicht untätig sein- will sehen wie mein Körper auf die Höhe reagiert und den Berg kennenlernen. Ich nötige Fede bereits am zweiten Tag einiges Gepäck ins Camp 2 zu tragen: jeweils mit 6kg Slacklinematerial pro Person machen wir uns auf den Weg- und kommen deutlich schneller als geplant in 3h und 55min. im Camp 2 an. Natürlich atmen wir schwer und haben abends Kopfweh, jedoch zeigt sich bereits deutlich dass wir gut mit der Höhe klarkommen.

Die folgenden Tage verschwimmen mehr und mehr- ich akklimatisiere mich in dem ich jeden zweiten Tag möglichst hoch steige und kann jeden Tag messbar schneller Höhenmeter zurücklegen. Meistens gehe ich allein: Fede ist mit vielen Freunden und Bekannten im Base Camp beschäftigt und bleibt lieber in den niedrigeren Höhen. Ich erkunde den Berg, gehe in einem Zug bis zum Camp 3, trage das komplette Slacklinematerial bis dorthin- es macht mir nichts aus hier den Großteil der Arbeit zu verrichten: ich sehe das alles als Training. Zudem hat Fede Heimvorteil am Berg: er kennt sich aus- da habe ich einiges Nachzuholen.

Ich freunde mich mehr und mehr mit Fedes Kumpels an: es handelt sich meistens um Träger oder Guides, die aus der Saison am Aconcagua durchaus Ihr Jahreseinkommen erwirtschaften. Thomas und Juan- die Zwillinge gehen eines Tages vom Base Camp zum Gipfel- ohne Übernachtung. Ich bin schwer beeindruckt und lasse mir alle Details genau erklären- die Herangehensweise erscheint mir sinnvoller als eine oder mehrere Übernachtungen am Berg.

Das Projekt

Schließlich ist es so weit: unser Wetterfenster ist da: am 06. Februar starten wir unseren Slackline- Rekordversuch. Wir steigen auf zum Camp 2, wo wir ein großes Expeditionszelt (die Leute nennen es Dome) zum Kochen nutzen können. Die Temperaturen werden unter 30° Celsius fallen. Jeder von uns weiß: es wird eine kurze, kalte Nacht.

Um 04:00 stehen wir auf uns quälen uns aus den Zelten: auf der Innenseite hat sich eine dicke Schicht aus Reif gebildet. Wegen der Kälte geht alles furchtbar langsam: Kocher anzünden, Tee kochen ein eingefrorener Müsliriegel zum Frühstück. Mir ist unheimlich schlecht: ich kann kaum etwas essen und hoffe dass ich nicht kotzen muss. Als ich meinen Freunden davon erzähle meinen die nur: Trink Wasser und Atme- es wird besser. Wird es auch. Nach zwei Stunden sind wir bereit zum Aufbrechen und machen uns mit dem ersten Licht des Tages auf den Weg zu Camp 3, wo das Slacklinematerial bereits lagert. Es ist nach wie vor eiskalt. Trotz der speziellen „Double Boots“ die ich mir extra für diesen Trip besorgt habe sind die Zehen kalt.

Unsere Quälerei wird mit einem einzigartigen Sonnenaufgang belohnt- Aconcagua ist weist nach dem Mount Everest die weltweit zweitgrößte Dominanz auf- in einfachen Worten: der Berg überragt alle seine Nachbarn um einiges! Das sieht man bei Sonnenaufgang auch am Horizont: der Berg wirft einen gigantischen Schatten an den Horizont- ein Phänomen, das ich so ausgeprägt nie vorher beobachten durfte.

Wir erreichen Camp 3 – das noch komplett schläft – teilen das Slacklinematerial unter uns auf und schleichen uns weg vom Weg nach oben: es ist „verboten“ den Weg zu verlassen und auf die Rückseite des Berges zu gehen- nahezu alles was dem Nationalpark kein direktes Geld einbringt ist verboten meint Fede nur und verdreht die Augen: „it´s better to ask forgiveness than permission my friend!“.  Wir traversieren mehrere Stunden den Berg und gehen zur Ostseite- zuerst durch Geröll, dann über einen Gletscher und sehen auch schon von weitem zwei markante Felstürme, die unser Ziel darstellen. Ich bin sehr zufrieden: Es handelt sich keinesfalls um eine erzwungene Line- es ist eine komplett logische Linie! Die höchste Highline der Welt- es gibt noch einiges zu tun und unser Tag wird nicht länger.

Nur 250m vor unserem Turm machen Fede und ich eine kurze Verschnaufpause- die anderen beiden (Brenda und Alejo) sind ca. 40 Minuten zurückgefallen. Wir stehen unter einer Felswand, in der ein Bohrhaken steckt- mit einem roten Stoffetzen daran. In der Höhe (ca. 5700m NN) funktioniert mein Hirn langsamer als normal- mein Blick wandert zum Wandfuß direkt unter dem Bohrhaken. Dort liegt eine Leiche. Ich bin nicht gerade überrascht- es ist bekannt, dass mehrere ungeborgene verunglückte Personen am Aconcagua liegen. Nichtsdestotrotz nimmt mich der Anblick der weißen Schädeldecke mehr mit als ich erwartet hatte. Wir stehen 5 Minuten still da und lassen unseren Gedanken Zeit sich zu ordnen. Ich denke an einen deutschen Bekannten in meinem Alter, der vor nur 3 Wochen in Südamerika beim Bergsteigen verunglückte- Fede war durch Zufall nur wenige Kilometer entfernt. Nach einem Gebet streut Fede einige Steine auf den armen Kerl und wir gehen weiter.

Die Felstürme sehen auf den ersten Blick gut aus- schnell stellt sich jedoch heraus, dass die Felsqualität wirklich sehr schlecht ist. Zudem ist der linke Turm sehr steil- eigentlich überhängend. Es geht nur um wenige Meter, danach wird es flacher und offensichtlich griffig- doch der Einstieg erfordert schwere Kletterei. Ganz kurz macht sich Verzweiflung in mir breit: wir sind hier auf 5800m – wir tragen schwere zweilagige Bergstiefel und es gibt keine Sicherungsmöglichkeiten. Wenn sich einer von uns verletzt wird keine Rettung kommen, wir haben kein Übernachtungsequipment dabei und die Nacht wird eisige Temperaturen bringen. In der Summe nicht die besten Bedingungen, um einen neuen Boulder zu versuchen.
Ich versuche den Turm von hinten zu erklimmen und bringe 20m einfachere Kletterstrecke free solo hinter mich- runterklettern kann ich da nichtmehr, so viel steht fest. Nun stehe ich auf halber Höhe des Turms aber der nächste Absatz ist wiederum zu schwer für mich. Fede und Alejo versuchen es auf der Vorderseite zu lösen.

Nach insgesamt 2 Stunden hin und her sitzt Alejo endlich auf der Spitze des Turms. Er hat eine Meisterleistung vollbracht und ist den Überhang geklettert. Von der Sicherung, die wir gebastelt haben spreche ich lieber nicht- wir sind einfach froh, dass er nicht gestürzt ist.

Die Highline an sich bauen wir nun zügig in 45 weiteren Minuten auf – gegen 14:28 macht Fede seine ersten Schritte. Alejo kommt als zweiter an die Reihe- ich gehe als letzter, Brenda möchte nicht.

5877m – dieser Wert steht auf der Höhenanzeige der Uhr. Die Highline ist 24m lang und 65m hoch. Und ich habe ordentlich die Hosen voll- somit ist klar: es ist eine richtig gute Highline!

Einige kurze Jauchzer lassen wir natürlich los, allerdings bleiben wir trotz der Tatsache, dass wir soeben einen Weltrekord aufgestellt haben im Großen und Ganzen sehr konzentriert und realistisch: wir haben den schwierigsten Teil hinter uns. Unser nächstes Ziel ist es nun aber schnell und wohlbehalten ins Tal zu kommen. Wir befinden uns nach wie vor auf 5800m – mehrere Stunden abseits der Normalroute an einem verdammt gefährlichen Berg. Teamwork ist beim Abbau gefragt und so schnell wie wir können packen wir alles ein. Wir verwenden herausnehmbare Bohrhaken- lassen also nichts als einige Löcher im Fels zurück und machen uns auf die Socken!

Wir traversieren stundenlang über den Gletscher und einmal um den kompletten Berg herum. Erreichen Camp 2, packen unsere Zelte ein und erreichen Hundemüde mit dem letzten Tageslicht um 21:00 das Basecamp Plaza de Mulas. Damit ist der Rekordversuch erfolgreich beendet- alles ist gut gelaufen. 17 Stunden haben wir am Berg verbracht- es wird einige Tage brauchen, bis ich die Erlebnisse komplett verarbeiten haben werde.

Der Gipfelgang on Top

Fede sagt mir bereits am nächsten Tag, dass Ihn nichts mehr im Basecamp hält- er möchte so schnell wie möglich nach Hause, in einem normalen Bett schlafen und alle weiteren Vorteile des Lebens in einem Haus genießen.

Ich habe aber andere Pläne und noch ein weiteres Ziel vor Augen: den Gipfel! Nach allen Erfahrungen am Berg fühle ich mich dazu bereit, den Gipfelgang zu wagen. Und ich habe beschlossen vom Base Camp aus zu gehen- mit minimalem Gewicht und möglichst viel Geschwindigkeit.

Am 09. Februar- zwei Tage nach unserem Slackline Höhenrekord breche ich wieder im Dunkeln auf: erreiche Camp 2 in meiner absoluten Rekordzeit von 2h 15min. – ebenso Camp 3 in nur 3h 30min. Anschließend geht es weiter in unbekanntes Terrain: weiter oben war ich noch nie. Ich beginne die ersten Bergsteiger einzuholen und zu überholen- mindestens 20 Leute lasse ich hinter mir. In der Gipfelrinne, der „Canaleta“ muss ich meine Geschwindigkeit halbieren und quäle mich nun die letzten paar hundert Meter zum Gipfel. Nach 7h 33min. ist es so weit: ich klettere über einen letzten Absatz und finde mich auf dem erstaunlich großen Gipfel wieder. 2,5 Stunden später bin ich bereits wieder im Base Camp- ich bin gerannt so schnell es geht. Ich packe meinen Rucksack um und mache mich auf den zweiten Teil meines Tagesplans: die Wegstrecke vom Base Camp zur Straße. 30 Kilometer und ca. 6 Stunden später hasse ich mich für meinen Eifer- und dennoch- ich schlafe in einem Bett im Hostel.

Zeit zu feiern und heimzukehren!

Quirin Herterich im Exposure auf der höchsten Slackline der Welt auf dem Aconcagua
Sonnenaufgang in den Anden